
Muhammad ibn Musa al-Chwarizmiv
Auszug aus dem Vorwort von al-Khwarizmis Buch
„Ein kurzgefasstes Buch ber die Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleichen Im Namen Allahs dem Gnädigen und Barmherzigen (…)
Die Vorliebe für die Wissenschaft für welche Allah den Imam al- Ma’mum berühmt gemacht hat (…), die Freundlichkeit, welche er gegenüber den Gelehrten zeigt, die Bereitschaft, mit welcher er sie bei der Aufklärung von Unbekanntem und dem Beseitigen von Schwierigkeiten beschützt und unterstützt− hat mich ermutigt ein kurzes Werk über das Rechnen mit den Regeln des Ergänzens und Ausgleichens zu verfassen, beschränkt auf das Einfachste und Nützlichste in der Mathematik, was die Menschen fortwährend benötigen bei ihren Erbschaften, Vermächtnissen, Teilungen, Gerichtsprozessen und im Handel, und in ih rem Umgang miteinander, oder bei der Landvermessung, beim Graben von Kanälen, geometrischen Rechnungen, und anderen Dingen verschiedener Art vertrauend auf die Güte meiner Absicht, und hoffend, dass die Gelehrten es belohnen werden, so dass ich durch ihre Gebete die Vortrefflichkeit des göttlichen Dankes erlange: als Belohnung dafür mögen die auserlesenen Segnungen und der reichliche Großmut Allah`s ihnen zugute kommen!
Mein Vertrauen liegt bei Allah, daran glaube ich (…) wie an Ihn. Er ist der Herr des Erhabenen Thrones. Möge Sein Segen herabkommen auf alle Propheten und himmlische Boten!
In der Schulpraxis wird meistens die Zeit nicht dazu ausreichen, alle drei Fälle und dazu noch den historischen Kontext zu behandeln. Wenn genügend Zeit ist, könnten aber einige der hier angedeuteten Aspekte thematisiert werden. Dies gilt insbesondere f¨ur die geometrische Begründung, denn sie führt bei den meisten Schülern zu einem tieferen Verständnis der Bedeutung der quadratischen Ergänzung. Den Schülern kann so verdeutlicht werden, dass Algebra und Geometrie miteinander verknüpft sind. Sich mit der geometrischen Veranschaulichung zu beschäftigen, ist außerdem sicherlich sowohl für den Lehrer als auch für die Schüler interessanter als nur die trockenen “ al- ” gebraischen Gleichungen zu behandeln. Oder, wie eine meiner Schülerinnen sagte: Durch die geometrische Veranschaulichung ist mir erst klar geworden, dass quadratische Gleichungen auch wirklich etwas mit Quadraten zu tun haben. Da hat man gesehen, was Sache ist!“(Rainer Kaske – Quadratische Gleichungen bei Al-Khawarizmi)
Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi (bzw. Khwarizmi, Kharazmi, Khowarizmi, Khawarizmi, Chorezmi, Choresmi) war ein muslimischer Astronom, Mathematiker und Geograph aus dem Iran, der im 9. Jahrhundert lebte. Von ihm stammen die ältesten systematischen Lehrbücher über die Gleichungslehre und über das Rechnen mit arabischen Ziffern. Von seinem Namen leitet sich der Begriff Algorithmus ab.
Al-Chwarizmi trug den Beinamen Abu Abdullah. Sein Geburts- und Todesjahr sind nicht genau bekannt, es wird jedoch angenommen, dass er um 780 n.Chr. in Chwarizm (heute Chiwa in Usbekistan) geboren und um 850 Chr. gestorben ist. Er soll aber fast sein ganzes Leben in Bagdad, der Hauptstadt der damaligen Abbasiden gelebt haben.
Während seines bekannten Wirkens 813 bis 833 war er Mitglied im „Haus der Weisheit“ (Dar al-Hikma) des Kalifen Mamun und verfasste alle seine Werke in Arabisch.
Er gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker, insbesondere da er sich mit Algebra als elementarer Untersuchungsform beschäftigte. Auch leistete er bedeutende Beiträge als Geograph und Kartograph.
In seinem Werk über das Rechnen mit indischen Ziffern (um 825 n.Chr.) stellte al-Chwarizmi die Arbeit mit Dezimalzahlen vor und führte die Ziffer Null [sifr] (woraus der deutsche Begriff Ziffer stammt) aus dem indischen in das arabische Zahlensystem und in weiterer Folge in alle modernen Zahlensysteme ein.
Im Jahr 830 schloss er die Arbeit an dem „Buch zum Rechnen durch Ergänzung und Ausgleich“ [al-kitab al-muchtasar fi hisab al-dschabr wa-l-muqabala] ab. Es basierte teilweise auf dem indischen Brahmasphutasiddhanta, dass zuvor unter anderem von Yaqub ibn Tariq ins Arabische übersetzt wurde. Es ist eine Zusammenstellung von Regeln und Beispielen. Das Buch wurde vom 12. Jahrhundert an mehrfach ins Lateinische übersetzt. Die lateinische Fassung dieser Schrift trug den Titel Algoritmi de… („Das Werk des Al-goritmus über…“). Daraus entstand die Bezeichnung „Algorithmus“, mit der generell Rechenverfahren gemeint sind. Die arabische Urfassung dieses Buches sowie viele andere wurden bei den Kreuzzügen verbrannt oder ins Meer geworfen. Heute gibt es nur noch eine lateinischen Übersetzung. Es hatte großen Einfluss auf die Mathematik im Vorderen Orient und dann auch auf die weitere Entwicklung im Westen.
Im Auftrag des Kalifen schrieb er auch über die Astronomie und die Geografie des Ptolemäus (wobei er einige von dessen Irrtümern bereinigte) und das indische Werk Sindhind sowie über die Astronomie und ein „Buch über Das Bild der Erde“ [kitab surat al-ardh]. Er beteiligte sich maßgebend an der Erstellung einer Erdkarte für den Kalifen und an einer verbesserten Bestimmung des Erdumfanges. Weiter beschäftigte er sich mit Kalendern im „Buch des Datums“ [kitab at-tarich], dem jüdischen Kalender [istichradsch tarich al-Yahud] und Sonnenuhren [kitab al-ruchmat]. Auch die von ihm erstellten trigonometrischen Tabellen hatten bedeutende Auswirkungen auf die westliche Mathematik.
In Tunesien trägt ein öffentliches Forschungsinstitut seinen Namen. In der Islamischen Republik Iran gibt es das „Festival Chwarizmi“ [dschaschnwarey-e-charazmi], in dem unter anderem Preise für erfinderische Forschungen an Jugendliche vergeben werden.
Al-Chwarizmi
Als weiland Al-Chwarizmi sprach,
verstand ihn kein Barbar.
Das Abendland küsste er wach
Erst nach 300 Jahr.
Al-jabr ward zur Algebra
Im plumpen Mönchslatein.
Und Arabiens Weisheit stand nun da
In Ziffernringelreihn.
Dichter: Unbekannt
Quadratische Gleichungen bei al-Khwarizmi
Vorspann:
Wir lösen heute quadratische Gleichungen im Prinzip genauso wie der arabische Mathematiker al-Khwarizmi es bereits vor mehr als 1000 Jahren getan hat. Sein Lösungsverfahren, welches er geometrisch begründete, unterscheidet sich von unserem eigentlich nur durch eine ungewohnte sprachliche Darstellungsweise. Al-Khwarizmis originale Erläuterungen sind durchaus zugänglich, so daß es möglich ist, seine Denkweisen an authentischen Texten nachzuvollziehen.
Interessant sind insbesondere die geometrischen Begründungen, die al-Khwarizmi angibt – sie führen zu einem tieferen Verständnis des algebraischen Lösungsverfahrens für quadratische Gleichungen
Der folgende Text beschreibt al-Khwarizmis Lösungsverfahren – es ist eine abgewandelte Version meines Artikels in mathematik lehren 91, S. 14-18 (Friedrich Verlag, Velber, 1998).
Alle Zitate entstammen dem Buch The Algebra of Mohammed Ben Musa von Frederic Rosen (Olms, Hildesheim, 1986). Gleiches gilt für die Abbildungen 1 und 3. Quelle der Abbildung 2 ist die sowjetische Post (Почта СССР, 1983).

Abb. 1: Titelseite zu Al-Chwarizmi s Werk

Abb. 2: Briefmarke der sowjetischen Post 1983
Warum sich mit al-Khwarizmi auseinandersetzen?
Eine Auseinandersetzung mit den Lösungsverfahren al-Khwarizmis für quadratische Gleichungen bietet eine gute Möglichkeit, das heutige Lösungsverfahren zu reflektieren, da sie diesem sehr ähneln. Die Texte sind zwar in einem ungewohnten Stil geschrieben, jedoch einfach zu erschließen, wenn man jeden Satz Schritt für Schritt nachvollzieht.
Es wird einem bewusst, dass die Mathematik früher anders war und sich entwickelt hat.
Insbesondere erkennt man die beachtliche Leistung, die al-Khwarizmi und seine Zeitgenossen erbracht haben, weil diese weder algebraische Symbole verwendeten noch mit negativen Zahlen rechneten.
Darüber hinaus ist al-Khwarizmis Lösungsverfahren auch mathematisch ansprechend, denn es beinhaltet eine sehr geeignete geometrische Deutung für den abstrakten Begriff quadratische Ergänzung. Eine quadratische Gleichung mit Hilfe der quadratische Ergänzung zu lösen, mag vielen als trickreiches Verfahren erscheinen, mit dem man die Gleichung „mechanisch“ lösen kann.
Doch wurde der eigentliche Sinn dieser Vorgehensweise verstanden?
Al-Khwarizmis geometrische Begründung für sein Lösungsverfahren ist meiner Einschätzung nach für die Verdeutlichung dieses Sinnes besonders geeignet: Es wird tatsächlich ein Quadrat ergänzt, um ein anderes Quadrat zu erhalten, aus welchem dann die Seitenlänge bestimmt werden kann.
Algebraische Kenntnisse müssen hier auf einen geometrischen Sachverhalt übertragen werden, was zu einem tieferen Verständnis der Bedeutung der quadratischen Ergänzung führen kann.
Wurzeln und Quadrate sind gleich Zahlen
Al-Khwarizmi beginnt seine Ausführungen mit der Erläuterung über das Lösen von Gleichungen, die sich aus „Wurzeln„, „Quadraten“ und „einfachen Zahlen“ zusammensetzen. Der Begriff „Wurzeln“ ist zunächst etwas irreführend; es ist immer die „Wurzel des Quadrats“ gemeint.
Wir wollen uns hier mit den Gleichungstypen al-Khwarizmis beschäftigen, die den heutigen gemischt-quadratischen Gleichungen entsprechen.
Al-Khwarizmi kombiniert die „Wurzeln„, „Quadrate“ und „Zahlen“ zu drei verschiedenen Problemen:
„Quadrate und Wurzeln sind gleich Zahlen“ (in heutiger symbolischer Sprache: ax2 + bx = c bzw. x2 + px = q),
„Quadrate und Zahlen sind gleich Wurzeln“ (bx + c = ax2 bzw. px + q = x2) und
„Wurzeln und Zahlen sind gleich Quadraten“ (ax2 + c = bx bzw. x2 + q = px).
Für den ersten Fall ist damit gemeint, dass eine bestimmte Anzahl von Quadraten und eine bestimmte Anzahl von Wurzeln desselben zusammen gleich einer bestimmten Zahl sind; für die anderen beiden Fälle gilt Entsprechendes.
Der Grund dafür, dass al-Khwarizmi hier drei Typen unterscheidet, liegt darin, dass die damalige arabische Mathematik nicht mit negativen Zahlen arbeitete. In al-Khwarizmis Gleichungen sind sämtliche Glieder positiv, d.h. sowohl a,b, c, p und q als auch x sind positive Zahlen. War eine Gleichung nicht in einer dieser Formen gegeben, so wurde sie durch Äquivalenzumformungen, die al-Khwarizmi „Ergänzen“ und „Ausgleichen“ nennt, zunächst auf eine der allgemeinen Formen gebracht und danach ggf. durch Division durch a auf die Normalform.
Befindet sich eine quadratische Gleichung in der Normalform, kann sie mit den Lösungsverfahren von al-Khwarizmi gelöst werden.
|
In die heutige Schreibweise übersetzt lautet die Aufgabe: x2 + 10x = 39.
Al-Khwarizmi benutzt hier (und auch später) für den Begriff Zahlen gleichwertig den Begriff Dirhems, welcher vermutlich die damalige Währungseinheit bezeichnet. Die folgende Tabelle soll deutlich machen, wie al-Khwarizmi die Aufgabe Schritt für Schritt löst:
AUFGABE: „ein Quadrat und zehn Wurzeln desselben ergeben neununddreißig“ |
x2 + 10x = 39 |
LÖSUNGSWEG: „halbiere die Anzahl der Wurzeln“ „multipliziere dies mit sich selbst“ „addiere dies zu neununddreißig“ „nimm die Wurzel von diesem“ „subtrahiere davon die Hälfte der Anzahl der Wurzeln“ „die ist die Wurzel, nach welcher du gesucht hast“ |
In den ersten beiden Schritten berechnet al-Khwarizmi die quadratische Ergänzung. Diese wird dann zu 39 addiert; genauso machen wir es heute, wenn wir die quadratische Ergänzung zu beiden Seiten der Ausgangsgleichung addieren:
x2 + 10x + 25 = 39 + 25
Auch die nächsten Schritte entsprechen unserem heutigen Lösungsverfahren recht genau:
Ziehen der Wurzel:
x + 5 = 8
Subtraktion der Hälfte der Anzahl der Wurzeln:
x = 3
Es fällt auf, dass al-Khwarizmi durch sein Verfahren nur eine Lösung für die quadratische Gleichung erhält. Dies liegt daran, dass er die negative Wurzel (-8) nicht berücksichtigt. Von seinem Standpunkt ist das konsequent, denn für ihn kamen ja nur die positiven Lösungen in Betracht.
Geometrische Begründung
Wie erwähnt, gibt al-Khwarizmi sehr einfallsreiche geometrische Illustrationen an, mit denen er seine Lösungsrezepte begründet. Al-Khwarizmi präsentiert für die Aufgabe x2 + 10x = 39 sogar zwei geometrische Begründungen; hier soll nur die zweite dargestellt werden.
Demonstration des Falles: „ein Quadrat und zehn Wurzeln sind gleich neununddreißig Dirhems“
Die Figur, die dies erklärt, ist ein Quadrat, dessen Seiten unbekannt sind. (…) Wir gehen aus von dem Quadrat A B, welches das Quadrat darstellt. Es ist unsere nächste Aufgabe, zu ihm zehn Wurzeln desselben zu addieren. Wir halbieren zu diesem Zweck die Zehn, so dass es fünf werden, und konstruieren zwei Vierecke auf zwei Seiten des Quadrats A B, nämlich G und D, die Länge von jedem dieser ist fünf, wie die Hälfte der zehn Wurzeln, während die Breite von jedem gleich ist zu einer Seite des Quadrats A B. Dann bleibt ein Quadrat übrig gegenüberliegend der Ecke des Quadrats A B. Dies ist gleich fünf multipliziert mit fünf: diese Fünf ist die Hälfte der Anzahl der Wurzeln, welche wir zu jeder der zwei Seiten des ersten Quadrats addiert haben. Somit wissen wir, dass das erste Quadrat (…) und die zwei Vierecke an seinen Seiten, welche zehn Wurzeln sind, zusammen neununddreißig ergeben. Um das große Quadrat zu vervollständigen, fehlt dort nur ein Quadrat von fünf multipliziert mit fünf, oder fünfundzwanzig. Dies addieren wir zu neununddreißig, um das große Quadrat S H zu vervollständigen. Die Summe ist vierundsechzig. Wir ziehen die Wurzel, acht, welche eine der Seiten des großen Quadrats ist. Durch Subtrahieren derselben Anzahl, welche wir vorher addiert haben, von diesem, nämlich fünf, erhalten wir drei als den Rest. Dies ist die Seite des Vierecks A B, welche das Quadrat darstellt; es ist die Wurzel dieses Quadrats, und das Quadrat selbst ist neun.

Abb. 3 Al-Chwarizmi`s originale
geometrische Begründung

Dies ist die Figur
Al-Khwarizmi lässt die Figur dynamisch entstehen:
- Er startet mit dem Quadrat AB, welches unserem x2 entspricht. Zu diesem Quadrat müssen dann die zehn Wurzeln (10x) addiert werden.
- Diese zehn Wurzeln werden aufgeteilt in zweimal fünf Wurzeln, was geometrisch Rechtecken mit dem Flächeninhalt 5x entspricht (Rechtecke G und D).
- Der gesamte Flächeninhalt des Winkelhakens – welcher aus dem Quadrat AB und den Rechtecken G und D besteht – ist gleich 39.
- Nun wird das große Quadrat SH links unten vervollständigt, indem ein Quadrat mit einem Flächeninhalt von 25 ergänzt wird.
- Das ist genau unsere bekannte quadratische Ergänzung. Somit beträgt der Flächeninhalt des großen Quadrats SH 39 + 25 = 64.
Daraus folgt, dass eine Seitenlänge gleich 8 ist. Dies ist andererseits x + 5, und deshalb folgt x = 3.
Die folgende Grafik soll die Dynamik, die in al-Khwarizmis Begründung liegt, verdeutlichen.

Er startet mit einem Quadrat (x2), zu welchem ein Rechteck (10x) addiert wird. Im nächsten Schritt wird das Rechteck geteilt, und die eine Hälfte umgelegt. Schließlich wird die quadratische Ergänzung geometrisch tatsächlich als Quadrat ergänzt, um das große Quadrat zu vervollständigen.
Nun kann vom Flächeninhalt des großen Quadrats auf dessen Seitenlänge geschlossen werden, woraus sich dann die Länge der Seite x ergibt.
Wurzeln und Zahlen sind gleich Quadraten
Wie erwähnt unterscheidet al-Khwarizmi nach verschiedenen Typen quadratischer Gleichungen. Wir wollen uns nun dem Gleichungstyp „Wurzeln und Zahlen sind gleich Quadraten“ zuwenden. (Dieser Typ ist bedeutend einfacher als der Typ „Quadrate und Zahlen sind gleich Wurzeln“
Wurzeln und Zahlen sind gleich Quadraten; zum Beispiel, „drei Wurzeln und vier einfache Zahlen sind gleich einem Quadrat.“ Lösung: Halbiere die Wurzeln; die Hälfte ist eins und ein Halbes. Multipliziere dies mit sich selbst; das Produkt ist zwei und ein Viertel. Addiere dies zu der Vier; die Summe ist sechs und ein Viertel. Ziehe die Wurzel; es sind zwei und ein Halbes. Addiere dies zu der Hälfte der Wurzeln, welche eins und ein Halbes war; die Summe ist vier. Dies ist die Wurzel des Quadrats, und das Quadrat ist sechzehn. |
Übersetzen wir diese Aufgabe in die heutige Schreibweise, so lautet sie: x2 = 3x + 4.
Wiederum berechnet al-Khwarizmi in den ersten beiden Schritten die quadratische Ergänzung. Diese wird dann zu 4 addiert. Heute tun wir dies prinzipiell genauso, nachdem wir die Ausgangsgleichung nach
x2 – 3x = 4
umgestellt haben. Hier wird der strukturelle Unterschied dieser Aufgabe zu der ersten deutlich, welcher darin begründet liegt, dass al-Khwarizmi nur positive Koeffizienten zulässt. Auch die nächsten Schritte entsprechen wieder unserem heutigen Lösungsverfahren recht genau. Abermals berücksichtigt al-Khwarizmi die negative Lösung (-1) nicht.
Geometrische Begründung
Al-Khwarizmis geometrische Begründung des Lösungsverfahrens zu diesem Fall ist leider erheblich komplizierter als zu dem vorherigen Fall.
Man kann nun aber für diesen Fall selbst eine geometrische Figur entwickeln, die der Figur des Falles
x2 + px = q
ähnlich ist. Die Figur dieses ersten Falles entstand dynamisch und beruhte darauf, dass erstens die Wurzeln halbiert wurden, und zweitens die quadratische Ergänzung als Quadrat ergänzt werden konnte, so dass sich ein neues Quadrat ergab. Lässt man sich bei der Entwicklung der Figur zu diesem Fall von diesen Ideen leiten, so erhält man (am Beispiel von x2 = 3x + 4) folgende geometrische Illustration:

Das große Quadrat x2 setzt sich zusammen aus einem Rechteck mit dem Flächeninhalt 3x und der Restfläche mit dem Flächeninhalt von 4; die ist die „Ausgangsposition“ der geometrischen Begründung.
Durch Halbierung des Rechtecks mit dem Flächeninhalt von 3x und Umgruppierung der entstandenen Hälften erhält man folgende Figur:

Die beiden Rechtecke (jeweils mit dem Flächeninhalt 1,5x) überlappen sich; es entsteht ein Winkelhaken, dessen Flächeninhalt 3x – 2,25 beträgt. Nun wird das kleine mittlere Quadrat mit einem Flächeninhalt von 2,25 ergänzt.
Der Flächeninhalt des Winkelhakens und dieses kleinen Quadrats beträgt somit zusammen 3x; die Restfläche (jetzt der Winkelhaken unten rechts) hat nach Voraussetzung weiterhin einen Flächeninhalt von 4. Der Flächeninhalt des Quadrats rechts unten beträgt daher 4 + 2,25 = 6,25. Folglich hat dieses Quadrat eine Seitenlänge von 2,5. Daraus folgt: x = 1,5 + 2,5 = 4.
Quadrate und Zahlen sind gleich Wurzeln
Bei al-Khwarizmis dritten Gleichungstyp „Quadrate und Zahlen sind gleich Wurzeln“ erhält man zwei positive Lösungen, die von al-Khwarizmi auch beide berücksichtigt werden.
Quadrate und Zahlen sind gleich Wurzeln; zum Beispiel, „ein Quadrat und einundzwanzig Zahlen sind gleich zehn Wurzeln desselben.“ Das heißt, was muss das Quadrat sein, welches, wenn einundzwanzig Dirhems zu ihm addiert werden, gleich wird zu zehn Wurzeln desselben Quadrats. Lösung: Halbiere die Anzahl der Wurzeln; die Hälfte ist fünf. Multipliziere dies mit sich selbst; das Produkt ist fünfundzwanzig. Subtrahiere davon die einundzwanzig Zahlen (…), der Rest ist vier. Ziehe daraus die Wurzel, das ist zwei. Subtrahiere dies von der Hälfte der Wurzeln, was fünf ist; der Rest ist drei. Dies ist die Wurzel des Quadrats, welche du gesucht hast; und das Quadrat ist neun. Oder: Addiere die Wurzel zu der Hälfte der Wurzeln; die Summe ist sieben; dies ist die Wurzel des Quadrats, nach welcher du gesucht hast, und das Quadrat selbst ist neunundvierzig. Wenn du auf solch einen Fall triffst, versuche die Lösung durch Addition, und falls das nicht hilft, dann wird es sicherlich die Subtraktion. Denn in diesem Fall können sowohl Addition als auch Subtraktion benutzt werden, was in den anderen Fällen (…) nicht möglich ist. |
Übersetzt in die heutige Schreibweise lautet diese Aufgabe x2 + 21 = 10x. Man erhält als Lösung: x = 3 v x = 7.
Geometrische Begründung
Al-Khwarizmis geometrische Begründung für diesen Fall ist leider auch zu kompliziert.
Man kann aber auch hier selbst geometrische Figuren entwickeln. Allerdings stellt das zu ergänzende Quadrat hier nicht unsere quadratische Ergänzung dar. Weiterhin lassen sich die zwei Lösungen nur durch zwei verschiedene Figuren begründen.
Prinzipiell sind diese Figuren aber den ersten beiden sehr ähnlich: man veranschaulicht das lineare Glied durch ein Rechteck, halbiert dieses, legt die zwei Teile überlappend zu einem Winkelhaken zusammen und ergänzt ein Quadrat.
Der interessierte Leser mag sich mit den folgenden Figuren auseinandersetzen, die an dem Beispiel x2+ 21 = 10x dargestellt werden.
In der Figur für die Lösung x = 3 geht man davon aus, dass .


Unterschlägt al-Khwarizmi Lösungen?
Es bietet sich nun auch an, die Lösungen der drei Gleichungstypen genauer zu betrachten und zu hinterfragen, ob al-Khwarizmi bei den ersten beiden Typen immer genau eine und beim dritten Typ immer genau zwei positive Lösungen erhält, oder, ob er durch sein Lösungsverfahren auch mal eine zweite positive Lösung – nur die positiven sind für ihn interessant – unterschlagen kann. Um dies zu überprüfen, bestimmt man die allgemeinen Lösungen der Gleichungen mit positiven Parametern p und q. Diese werden dann auf ihr Vorzeichen untersucht. Hier werden im Prinzip drei p-q-Formeln hergeleitet.
Betrachten wir also allgemein die Lösungen und deren Vorzeichen der drei Typen quadratischer Gleichungen, wobei jeweils p>0 und q>0.
Gleichung |
Lösungen |
Vorzeichen der ersten Lösung |
Vorzeichen der zweiten Lösung |
x2 +px = q | ![]() ![]() |
positiv |
negativ |
x2 = px + q | ![]() ![]() |
positiv |
negativ |
x2 + q = px | ![]() ![]() |
wenn D>0 |
wenn D>0 |
Es zeigt sich also, dass al-Khwarizmi keine positiven Lösungen unterschlägt.
Im dritten Fall müssen Fallunterscheidungen hinsichtlich der Diskriminante
gemacht werden:
Ist D <0, so gibt es keine Lösung.
Ist D = 0, so gibt es eine Lösung, welche immer positiv ist.
Ist D >0, so gibt es immer zwei positive Lösungen.
Al-Khwarizmi macht über die Möglichkeiten keiner und einer Lösung in diesem Fall auch eine Aussage:
Und beachte:
Falls bei einer Aufgabe, die zu diesem Fall gehört, das Produkt der Hälfte der Anzahl der Wurzeln mit sich selbst weniger ist als die Zahlen, dann ist diese Aufgabe unmöglich. Aber: Wenn das Produkt gleich den Zahlen ist, dann ist die Wurzel des Quadrats gleich der Hälfte der Anzahl der Wurzeln, ohne Addition oder Subtraktion. |
Interessant ist hier, dass im Falle einer negativen Diskriminante nicht die Lösung, sondern die Aufgabe als unmöglich bezeichnet wird.
ENDE
Quellenverzeichnis
(1) Rainer Kaske: Quadratische Gleichungen bei al-Khwarizmi. In: mathematik lehren 91, S. 14-18 (Friedrich Verlag, Velber, 1998)
(2) Frederic Rosen: The Algebra of Mohammed Ben Musa (Olms, Hildesheim, 1986)
(3) (Post der UdSSR, 1983)

Tausendundeine Idee Vom Kaffee bis zum Taschenrechner: Viele unserer Alltagsdinge bergen ein Stück islamischer Kulturgeschichte.